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Hallo und Guten Tag. Mein Name ist Kilian, ich bin 21 Jahre alt und wohne, nicht ganz
freiwillig, mit meinen Eltern und vielen Kühen in einem Vorort von Oldenburg. An der Uni
Oldenburg studiere ich im 2. Semester Anglistik. Eine brotlose Kunst, aber ich liebe eben
Fremdsprachen und Literatur. Gerade arbeite ich mich durch Beowulf und sogar das gefällt mir
gut. Wie schon erwähnt, ich wohne nicht ganz freiwillig zu Hause. Aber es gibt nur sehr wenige
barrierefreie Appartements vom Studierendenwerk. Da bin ich nun auf der Warteliste für eine
rollstuhlgerechte Behausung.
Ach so, ich nutze einen Rollstuhl, Orthesen und noch ein paar andere Geräte aus dem Rehabedarf.
Ich habe eine Zerebralparese und dadurch eine Spastik in der rechten Körperhälfte. Eine
Zerebralparese ist eine angeborene Beeinträchtigung der Nerven. Die schlägt mir auch auf‘s
Gleichgewicht und meinen Orientierungssinn. Kurz gesagt: Meine rechte Körperhälfte macht halt,
was sie will – und ich den Rest mit links. Nicht nur in meinem Studium, auch außerhalb
interessiere ich mich sehr für Sprachen. Deshalb versuche ich auch oft im Ausland unterwegs zu
sein. Meine Trips und Erfahrungen verarbeite ich in einem kleinen Travel-Blog. Da gibt‘s natürlich auch viele Infos zum Thema Reisen mit Mobilitätseinschränkung. Insta hab
ich auch und darüber richtig guten Kontakt zu einer internationalen Gruppe anderer
travelling crips.
Technologien und Strategien
Eingabehilfen
Die benötigten Hilfsmittel und Strategien, die Personen mit motorischen Beeinträchtigungen
nutzen, sind stark von der Ausprägung der Beeinträchtigung abhängig. Bei verschiedenen
motorischen Beeinträchtigungen – wie beispielsweise einer Zerebralparese - kommt es zu einer
muskulären Spastik, die sich in erhöhter oder unkontrollierbarer Muskelspannung zeigt.
Außerdem können verschiedene Bereiche bzw. Extremitäten betroffen sein. Mithilfe von
angepassten Tastaturen, Computer-Mäusen und anderen Eingabegeräten sowie speziellen
Schreibtischstühlen können Arbeitsplätze so ausgestattet werden, dass die Muskelspannung und
chronische Schmerzen reduziert werden.
Energie-Management
Die unkontrollierbaren Anspannungen der Muskulatur verbrauchen sehr viel Energie und sind
dadurch häufig sehr ermüdend. Regelmäßige Pausen, Aufteilen von Aufgaben in kleinere
„Häppchen“ und ein gutes Energie-Management sind daher wichtige Strategien.
Muskelspannung reduzieren
Um die Muskelspannung und dadurch auftretende Schmerzen zu reduzieren, können eine passende
Medikation, Wärme, regelmäßige Physiotherapie und Orthesen helfen.
Zu Hause habe ich einen Trackball und eine Großfeldtastatur. Die sieht halt aus wie für Omas.
Aber so schaffe ich es, zuverlässig die richtige Taste zu treffen, was auf einer normalen
Tastatur wegen der Spastik eher ein Glücksspiel ist. Häufig nutze ich auch die Spracheingabe.
Das geht manchmal einfach schneller - oder auch nicht, je nachdem, was meine Sprachmuskulatur
gerade so macht.
Da die Lähmung meiner rechten Körperhälfte nicht zu stark ausgeprägt ist, kann ich kurze
Strecken laufen. Ich wackel dabei aber ziemlich viel und laufe mit einem Spitzfuß. Und langsam
bin ich auch noch. Laufen ist für mich einfach sehr anstrengend. Wenn ich mich schnell und
grazil fortbewegen möchte, nutze ich meinen Aktiv-Rollstuhl – der ist klein und wendig und ich
kann ihn mit einem Arm antreiben. Der begleitet mich auch immer an die Uni. Die Leute gucken
ganz schön blöd, wenn ich im Rollstuhl irgendwo ankomme und dann laufe. Ich nenne das den
Lazarus Effekt. Aber ich habe auch nicht immer Lust zu erklären, warum es manchmal geht und
manchmal eben rollt.
Wer einen Rollstuhl nutzt, sieht sich mit baulichen Barrieren konfrontiert, die anderen im
Alltag oft nicht einmal auffallen:
Legen Sie Ihren Weg zur und innerhalb der Universität einmal ausschließlich
auf rollstuhlgerechten Strecken zurück. Vermeiden Sie vor allem Treppen und
nutzen Sie stattdessen
Aufzüge oder Rampen, um barrierefrei andere Stockwerke zu erreichen. Achten
Sie dabei auch auf hohe Türschwellen und darauf, auf welcher Höhe Alltagsgegenstände
angebracht sind. Wo ist eigentlich die nächste barrierefreie Toilette?
Lehrveranstaltungen
Werden Aufzeichnungen von Veranstaltungen online und asynchron zur Verfügung gestellt,
ermöglicht das die häufig benötigte Flexibilität und kann so mit regelmäßigen Pausen und
medizinisch wichtigen Terminen besser vereinbart werden.
Wenn ich Präsenzveranstaltungen habe, dann fahre ich oft mit einem Taxi an die Uni. Das ist eine
Leistung, die ich bekomme, weil wir nicht gut angebunden sind. Mit dem Aufzug, der in der
hintersten Ecke des Gebäudes ist, muss ich zur richtigen Etage fahren und dann noch zum
richtigen Raum. Für den Aufzug braucht man einen Schlüssel, den muss ich mir immer vom
Hausmeister holen. Also ist meine erste Aufgabe, den zu finden. Das kostet Zeit. Und das geht
auch nur in Gebäuden, die tatsächlich ansatzweise barrierefrei sind. Andere Gebäude sind für
mich einfach nicht zugänglich. Dazu gehören auch Büros von Lehrenden. Wegen des ganzen Hickhacks
bin ich schon oft zu spät zu Vorlesungen gekommen. Das ist ganz schön peinlich, weil ich ja
zusätzlich noch auf dem Präsentierteller sitzen muss – also in der ersten Reihe, weil da ein
Rollstuhlplatz ist. Naja, jetzt kennen mich immerhin alle!
Nicht alle Gebäude und Räume in Universitäten sind barrierefrei zugänglich für Menschen, die
einen Rollstuhl nutzen. Ein weitläufiger Campus oder viele Gebäude können für Studierende mit
Mobilitätseinschränkungen viel Zeit beanspruchen, sodass ein schneller Raumwechsel kaum
möglich ist. Nicht selten erfordert es zusätzliche Unterstützung.
Viele Gebäude und Räume der Uni sind offiziell barrierefrei zugänglich. Das ist aber irgendwie
Interpretationssache. Bei uns gibt es zum Beispiel eine Rampe, die so steil ist, dass ich
rückwärts runterrollen würde, wenn niemand hinter mir ist. Die Tür zum Gebäude geht dann auch
noch nach außen auf.
Unterstützungen für Studierende mit (motorischen) Beeinträchtigungen, die Universitäten
bieten, sind häufig nicht bekannt. Mit Übersichten oder Hinweisen zu diesen Angeboten –
beispielsweise auf einer Präsentationsfolie zu Beginn des Semesters zusammengefasst – können
die Angebote breit kommuniziert und somit bei Bedarf auch genutzt werden.
Das permanente Sitzen im Rollstuhl geht auch mit physischen Belastungen einher:
Zählen Sie einmal, wie oft Sie normalerweise am Tag aufstehen, um sich zu
strecken oder kurz zu bewegen. Versuchen Sie dann, dies zu reduzieren und den Tag
größtenteils im Sitzen
zu verbringen. Beachten Sie, wie sich Ihr Körper dabei anfühlt und welche
Unannehmlichkeiten es gibt. Rückenschmerzen sind für Rollstuhlnutzende eine
häufige Belastung.
Lernmaterial
Auch hier gilt: Das Bereitstellen von Materialien in mehreren Modalitäten ermöglicht ein
Aneignen der Inhalte angepasst auf verschiedene Bedarfe. Da eine konstante Muskelanspannung
für den gesamten Körper oder auch die Augenmuskulatur sehr ermüdend sein kann, ist eine
auditive Aufnahme manchmal hilfreich. Diese Ermüdung erfordert regelmäßige Pausen – eine
asynchrone Beschäftigung mit Lernmaterialien kann helfen, diese Pausen in den Studienalltag
einzubauen.
Qualitativ hochwertige Scans von Dokumenten sind gerade bei einer benötigten Vergrößerung sehr
wichtig.
Ich gehe sehr gerne in die Bibliothek. Nicht nur zum Lernen, auch einfach um Bücher zu schmökern
oder mir Inspiration zu holen. Allerdings kann ich mich nicht nur in den Büchern verlieren –
mein Orientierungssinn ist so schlecht, dass ich mich in der großen Bib nicht zurecht finde.
Bevor ich, wie Hänsel und Gretel, eine Spur Brotkrumen legen muss, gehe ich lieber mit
Freundinnen aus meinem Kurs. Da weiß ich, dass die mich nicht vergessen. Es gibt auch einen
Bibliotheksservice - dort kann ich Mitarbeitende fragen, ob sie mir helfen, ein Buch
rauszusuchen. Das ist prima, wenn ich einfach nur schnell etwas brauche.
Interaktion und Kommunikation
Motorische Beeinträchtigungen können Lähmungen verschiedenster Muskeln im Körper bedeuten. Es
kann also auch die Stimmmuskulatur betroffen sein. Nicht selten wird einer langsameren und
verwaschenen Aussprache mit Ungeduld begegnet. Und wird eine Person mit motorischer
Beeinträchtigung durch eine Assistenzkraft begleitet und unterstützt, wird diese teilweise als
einzige Kommunikationsperson gesehen.
Die Zerebralparese ist mit einer erhöhten Muskelspannung verbunden. Die betrifft auch meine
Stimmbänder und daher spreche ich etwas langsamer. Anstrengender ist es auch noch. Manchmal
haben es Menschen beim Zuhören eilig. Dann vervollständigen sie schnell meine Sätze oder hören
nach zwei Worten direkt weg. Das nervt echt. Und da erwarte ich mehr Geduld und Respekt mir
gegenüber.
Manche Menschen mit motorischen Beeinträchtigungen werden durch Assistenzkräfte im Alltag
unterstützt. Diese Unterstützung kann im Umfang und in den Aufgaben ganz unterschiedlich
ausfallen. Wichtig ist, dass bei der Kommunikation darauf geachtet wird, direkt mit der Person
zu sprechen und nicht davon auszugehen, dass die Assistenzkraft die Kommunikation übernimmt.
Ich, Kilian, wollte schon immer mal sagen:
Vorderseite
Ich bin nicht schwer von Begriff!
Rückseite
Ich spreche nur langsamer, weil die Zerebralparese - und nicht ich - meine Sprechmuskulatur kontrolliert.
Prüfungen
Um Prüfungen mit den gleichen Voraussetzungen wie Mitstudierende ohne Beeinträchtigungen
ablegen zu können, haben Studierende mit motorischen Beeinträchtigungen ein Anrecht auf einen
Nachteilsausgleich. Die benötigten Anpassungen darin können sehr unterschiedlich ausfallen und
werden idealerweise mit den Beauftragten für Studierende mit Beeinträchtigungen besprochen und
durch das Prüfungsamt genehmigt.
Häufig ist es so, dass die Studierenden selbst dann Kontakt zu den Lehrenden aufnehmen müssen,
um diese Anpassungen vor einer Prüfung abzusprechen.
Ich bin schon vor Beginn des Studiums zum Beauftragten für Studierende mit Beeinträchtigungen
gegangen. Dort wurde mir gesagt, was ich alles besorgen muss, damit ich accommodations kriege. Ich habe jetzt einen Nachteilsausgleich, der mir eine Zeitverlängerung bei Prüfungen und
Abgaben gibt. Ich brauche wegen der Spastik einfach länger zum Schreiben oder Tippen. Und ab und
zu muss ich etwas Pause machen, um meine Muskeln zu entspannen. Auch für mündliche Prüfungen oder
Referate brauche ich mehr Zeit, da ich langsam spreche. Bisher hat das alles gut geklappt. Was mich
allerdings nervt, ist, dass alle Wege bei mir liegen. Ich muss bei jeder Prüfung zum Prüfungsamt.
Wenn Räume nicht barrierefrei sind, muss ich das melden.
Mir wurden nicht alle Hilfsmittel, die ich für‘s Studium brauche, sofort oder überhaupt
bewilligt. Den Fahrdienst muss ich auch jeden Monat planen und mir einteilen, da der ja nicht
unbegrenzt zur Verfügung steht. Die ständige Organisation ist eigentlich ein kompletter
Nebenjob, der nicht bezahlt wird. Ich glaube, dass es da einfachere Lösungen gäbe, wenn man
wollte.
Der psychische Zustand einer Person kann sich auch auf die Anspannung der Muskulatur
auswirken. Aufgeregtsein vor einer Prüfung kann die Spastik der Muskulatur daher verstärken.
Eine klare Absprache und Organisation – von barrierefrei zugänglichen Räumen, Betreuung bei
Zeitzugabe etc. - vor einer Prüfung helfen, diese vor einer Prüfung herrschende Anspannung
nicht noch zu verstärken.
Mein Motto ist: be prepared. So versuche ich im Voraus Stress zu
vermeiden. Oder improvisierte Lösungen, die vor allem für mich schlecht sind - und unter
Umständen unangenehm oder sogar gefährlich sein könnten. Dazu gehört zum Beispiel, mich in
irgendein Gebäude tragen zu wollen.
Fragen an Kilian
Was ist ein No-Go, wenn ich Rollstuhlnutzenden begegne?
Das ist easy: Bitte nicht einfach drauflos schieben! In dem Moment, in dem ich im Rollstuhl
sitze, ist dieser sozusagen mein 'Ersatzbein'. Und ich fasse ja auch nicht einfach die Beine
einer anderen Person an! Ich freue mich meistens über nett gemeinte Hilfsangebote, aber ich
bin auch ein selbstständiger Mensch. Eine kurze Nachfrage kann uns beide vor unangenehmen
Situationen bewahren.
Welchen digitalen Barrieren begegnest Du?
Klar, wenn man eine Person im Rollstuhl sieht, denkt man erstmal an bauliche Barrieren. Das
ist aber nicht alles: Assistive Technologien wie meine Großfeldtastatur ermöglichen zwar
grundsätzlich meine Teilhabe am digitalen Leben, aber das geht trotzdem langsamer als bei
anderen. Wenn ein Dozent in einer Online Vorlesung beispielsweise wissen will, ob es noch
Fragen gibt, brauche ich länger, bis ich den winzigen 'Hand heben'-Button gedrückt habe. Bis
dahin hat er die Konferenz womöglich schon beendet.
Selbstcheck Barrierefreiheit
Hier finden Sie eine Checkliste, um zu überprüfen, wie barrierefrei Ihre Lehre bereits ist.