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Michelle

Studieren mit chronischer Erkrankung

  • Selbsthilfe
  • Spoon theory
  • Unsichtbare Beeinträchtigung
Hey, ich bin Chelle.  Ich habe schwarze, lange Haare, die zu Dreads geflochten sind. Heute trage ich eine Mom-Jeans und ein orangenes Kurzarm-Shirt, das ich selbst genäht habe. Dazu natürlich die passenden Chucks. Ich trage leichtes Make-Up, das sehr natürlich aussieht. Ich bin eine ziemliche Bohnenstange, das liegt am Morbus Crohn. Und ich bin eine Person of Color. Michelle , 19
Hey, ich bin Chelle.  Ich habe schwarze, lange Haare, die zu Dreads geflochten sind. Heute trage ich eine Mom-Jeans und ein orangenes Kurzarm-Shirt, das ich selbst genäht habe. Dazu natürlich die passenden Chucks. Ich trage leichtes Make-Up, das sehr natürlich aussieht. Ich bin eine ziemliche Bohnenstange, das liegt am Morbus Crohn. Und ich bin eine Person of Color. Michelle , 19
Michelle

Über mich

Alter 19 Jahre
Hobbys Schlagzeug spielen und Kleidung nähen
Studium Popmusikdesign
Pronomen Sie / ihr

Hi, mein Name ist Chelle – eigentlich Michelle. Ich studiere Popmusikdesign an der Popakademie in Mannheim. Ich spiele Schlagzeug in einer Band – also ihr könnt mich oft im Proberaum finden. Alternativ falle ich euch aber auch in der Mensa auf, weil ich wahrscheinlich die einzige Person bin, die ihr Tablett voller neutraler Kartoffelprodukte hat. Was anderes vertrag ich nämlich nicht, da ich Morbus Crohn habe. Ach so – ich bin 19 Jahre alt und wohne in der Nähe von Mannheim bei meinem Vater. Mit 9 Jahren hab ich eine Nähmaschine bekommen, fleißig geübt und mittlerweile nähe ich ziemlich viel meiner Kleidung selbst. Ich gehe super-gerne auf Konzerte und wegen dem Morbus Crohn auch super oft auf die Toilette. Wenn ihr also mal Tipps braucht, wo man gute Musik hören kann und es auch schöne Sanitäranlagen gibt, wendet euch vertrauensvoll an mich.

Als ich angefangen habe zu studieren, habe ich die Gruppe studiCED gefunden. Das ist eine Selbsthilfevereinigung von Studierenden, die von CED betroffen sind. CED ist die Abkürzung für chronisch entzündliche Darmerkrankungen. Bei mir wurde Morbus Crohn mit 15 Jahren nach einer langen Odyssee durch Krankenhäuser und Spezialisten festgestellt. Wegen der ewigen Diagnose habe ich fast ein ganzes Schuljahr verpasst. Die Kontakte in der Selbsthilfegruppe sind für mich ein richtiger Anker – dort stärken wir uns gegenseitig, wenn es mal wieder einen Schub gibt oder man dafür kämpfen muss, dass an der Uni Rücksicht genommen wird. Ihr seht unsere Einschränkung nicht – trotzdem ist sie aber da und verursacht Barrieren.

Allgemeine Informationen

Symptome chronisch entzündlicher Darmerkrankungen

kommen häufig in Schüben. Diese Schübe können auch stressbedingt auftreten, sich verschlimmern und sind nicht selten mit starken Schmerzen verbunden. Krankenhausaufenthalte und langfristigere Ausfälle sorgen dafür, dass Studierende Studieninhalte verpassen und diese nachholen müssen. Es ist also nicht selten, dass Studienzeiten verlängert werden müssen. Neben Bauchkrämpfen sind auch Durchfälle und Müdigkeit häufige Symptome von CED. Deshalb sind Pausen entweder wichtig, um Energie zu tanken oder durch Schmerzen oder Toilettengänge schlichtweg unumgänglich.

Chronische Erkrankungen und deren Symptome sind häufig für Außenstehende nicht sichtbar. Daher reagieren Menschen teilweise mit Unverständnis, wenn Studierende mit chronischen Erkrankungen beispielsweise einen Nachteilsausgleich (NTA) haben oder häufiger Pausen machen müssen. Um dieses Haushalten mit Energie zu veranschaulichen und für nicht sichtbare Beeinträchtigungen zu sensibilisieren, wird häufig die „spoon-theory“

(„Löffel-Theory“) verwendet.

Ich muss mit meiner Energie immer haushalten. Das wird schwierig, wenn viele Sachen an einem Tag anstehen oder ich mehrere Tage hintereinander funktionieren muss. Am besten kann ich das mir – und auch anderen – mit der Spoon Theorie erklären. An guten Tagen hab ich viele Löffel, an schlechten eben wenig. Manchmal kosten mich die selben Aktivitäten viele oder wenige Löffel. Wenn ich alle Löffel verbraucht habe, geht‘s mir halt beschissen. Wenn die Löffel weg sind, dann wird auch kochen, einkaufen oder einfache Tätigkeiten zu viel.

Ich plane meine Tage immer im Voraus – Katastrophen-Planung quasi. Wenn ich das Haus verlasse, muss ich vorher wissen, wo ich hingehe und ob dort eine Toilette in der Nähe ist. In Vorlesungen sitze ich immer am Rand, damit ich notfalls schnell raus kann. Und in meinem Kopf kalkuliere ich schon mal den Weg zum Klo. Wenn es mir schlecht geht, muss ich auch mal 12 mal in der Stunde zur Toilette.

Lehrveranstaltungen

Durch Bauchkrämpfe und Durchfälle ist das schnelle Erreichen einer Toilette für viele Studierende mit CED eine Voraussetzung, die gegeben sein muss.

Wenn die Rahmenbedingungen einer Veranstaltung (Räumlichkeiten, Pausen-Zeiten, etc.) frühzeitig bekannt gegeben werden, haben die Studierenden die Möglichkeit, im Voraus zu planen. Kurzfristige Planänderungen erzeugen Unsicherheit und Stress. Und Stress kann ein Katalysator für Beschwerden sein.

Ich bin richtig frustriert, wenn ich mitbekomme, dass Leute hinter meinem Rücken Kommentare darüber machen, dass ich schon wieder den Raum verlasse oder ja kaum da bin. Oder noch besser: Wenn mich Leute davon abhalten wollen, die barrierefreie Toilette zu benutzen. Aber es gibt auch andere Seiten: Meine Uni-Freunde sammeln immer meine Sachen ein, wenn ich mal wieder auf dem Klo statt in der Vorlesung bin, teilen ihre Notizen mit mir, fragen wie es mir geht und haben auch immer was zu trinken für mich dabei.

Ich, Michelle, wollte schon immer mal sagen:

Vorderseite
Ich bin nicht des­interessiert an der Vorlesung!

Blockveranstaltungen oder Veranstaltungen, die sich über mehrere Stunden am Stück erstrecken, sind mit flexiblem Eingehen auf das aktuelle Befinden kaum vereinbar. Werden Veranstaltungen aufgezeichnet, können Studierende, die die Veranstaltung frühzeitig verlassen mussten oder an diesen wegen medizinisch wichtiger Termine gar nicht teilnehmen konnten, die Inhalte nachträglich erarbeiten.

Ja, Morbus Crohn ist körperlich belastend. Aber es geht auch auf die Psyche – ich habe oft Angst, einen Schub zu bekommen und dann in einer unangenehmen Situation zu sein. Es stresst mich, wenn ich aus einer Veranstaltung renne und mich alle anschauen. Dazu kommt ein permanent schlechtes Gewissen, dass ich an einer Veranstaltungen nicht teilnehmen kann, nicht genug bei Gruppenarbeiten beitrage und ich immer das Gefühl habe, die anderen denken schlecht von mir.

Anwesenheitspflichten bei Lehrveranstaltungen sind pro Bundesland und Hochschule unterschiedlich geregelt. Ist Anwesenheit Voraussetzung für das Ablegen einer Prüfung oder das Bestehen einer Veranstaltung, stellt das Studierende mit einer chronischen Erkrankung häufig vor weitere Herausforderungen. Wichtige Arzttermine oder Fehlzeiten aufgrund von Krankheitsschüben machen es Studierenden manchmal unmöglich, diese Präsenztermine einzuhalten. Da Anwesenheitspflichten für viele Studierende eine Barriere darstellen können, sollten diese generell überdacht werden. Zusätzlich können in einem Nachteilsausgleich Regelungen zum Umgang mit Fehlzeiten festgelegt werden.

Lernmaterial

Auch hier gilt: Studierende mit chronischen Erkrankungen brauchen die Möglichkeit, flexibel und je nach gesundheitlichem Zustand studieren zu können. Asynchrone Vorlesungen und online bereitgestellte Lernmaterialen ermöglichen das Arbeiten nach eigenem Tempo und die Vereinbarkeit mit Pausen.

Die Medikamente, die ich nehmen muss, machen mich oft sehr müde. Außerdem ist mein Körper durch die Krämpfe und Schmerzen geschlaucht. Ich muss viele Pausen einlegen und mit meinen Ressourcen gut haushalten.

Ich bin immer saufroh, wenn irgendein Lernmaterial online verfügbar ist. Ich kann nicht immer vor Ort sein, auch wenn ich es gerne wäre. Ich muss oft zum Arzt. Ich muss immer wieder ins Krankenhaus. Deshalb verpasse ich Veranstaltungen. Digitales Lernmaterial bedeutet für mich, dass ich trotzdem dabei sein kann. Dass ich nicht den Faden verliere. Und auch nicht immer nachfragen muss, wenn ich etwas verpasst habe. Für mich ist das eine riesige Erleichterung – und zeigt mir auch, dass ich mein Studium schaffe.

Fragen an Michelle

Hast Du Dir schon mal in der Öffentlichkeit in die Hose gemacht?

Das ist super peinlich, aber: Ja! Nach meinen Magenkrämpfen kann man keinen Wecker stellen, die kommen, wann sie wollen - auch mal mitten auf dem Weg zur Uni. Wenn dann gerade keine öffentliche Toilette in der Nähe ist, hilft auch keine große, körperliche Anstrengung, um etwas zurückzuhalten. Nach so einem "Unfall" habe ich mich eine Zeit lang kaum noch aus dem Haus getraut!

Was ist der unangebrachteste Kommentar, den Du bezüglich Deiner Krankheit bekommen hast?

Nur einer? Ich hab ein ganzes „Bullshit Bingo“-Feld in meinem Notizblock! Viele Kommentare höre ich so häufig – Wenn ich jedes Mal einen Euro bekommen würde, wäre ich inzwischen reich. Der Klassiker: „Und wann bist du wieder gesund?“, dicht gefolgt von Ratschlägen wie: „Durchfall hab ich auch manchmal, mir hilft da immer Immodium“. Oder: „Du darfst länger Klausuren schreiben, du hast es gut!“. Lass uns gerne tauschen, du bekommst meinen NTA und ich deinen gesunden Darm!

Interaktion und Kommunikation

Die Kommunikation der Bedarfe ist gerade bei nicht-sichtbaren Beeinträchtigungen sehr wichtig. Studierende sind dann auf Verständnis von und individuelle Absprachen mit Lehrpersonen angewiesen.

Mittlerweile spreche ich sehr offen über meine Erkrankung und die Symptome. Ich will, dass die Menschen sensibler für unsichtbare Beeinträchtigungen werden. Und das geht nur, wenn man darüber aufklärt.

Ein Austausch über Beeinträchtigungen unter Studierenden findet häufig in Selbsthilfevereinigungen statt. Eine offene Haltung und auch das Bieten von Austauschmöglichkeiten für Studierende kann aber auch von Lehrenden-Seite initiiert werden.

Kontakt zu Mitstudierenden ist für mich recht schwierig. Das liegt daran, dass ich einfach unzuverlässig bin – aber halt nicht mit Absicht. Ich bin nicht jeden Tag an der Uni, ich kann nicht fest zusagen, ob ich zu einer Party komme und bei Gruppenarbeiten werde ich nicht zu jedem Termin da sein. In meinem Studiengang sind es die Leute, mit denen ich Musik mache, die viel Verständnis zeigen. Die kriegen das hin, mich mitzunehmen.

Lehrende können beispielsweise Informationen zu Anlaufstellen für Beratung und Austausch bereitstellen und damit Studierende mit sichtbaren und nicht-sichtbaren Beeinträchtigungen unterstützen.

Eine Woche im Leben von Michelle

Michelles zweites Semester an der Popakademie ist seit einigen Wochen in vollem Gange. Neben vielen Seminaren muss sie aber auch viele Arzttermine wahrnehmen.

März 2024

Guter oder Schlechter Tag

8:30 Uhr

Michelle hat einen wichtigen Arzttermin, der sich zeitlich mit einem Seminar überschneidet. Schon im Wartezimmer sieht sie nach, ob die Studieninhalte bereits hochgeladen wurden, was jedoch nicht der Fall ist. Sie sitzt die Wartezeit gelangweilt ab. Zu Michelles Enttäuschung werden die Folien auch nach dem Seminar nicht online bereitgestellt, sodass sie keine Möglichkeit hat, die verpassten Inhalte nachzuholen. Michelle ist besorgt, dass sie den Anschluss verlieren könnte. Erst nach der dritten E-Mail, die Michelle der Dozentin schreibt, lädt diese die Folien - Tage später - endlich hoch.

Michelle steht in einer erschöpften Pose da, da 3 von 5 Tagen in dieser Woche schlecht verliefen

Prüfungen

Obwohl ich einen Nachteilsausgleich habe, muss ich trotzdem immer wieder mit Lehrenden diskutieren und mich erklären. Das nervt. Es wäre viel konstruktiver, wenn wir darüber reden könnten, wie man meinen NTA sinnvoll umsetzt, anstatt darüber, ob ich den jetzt auch wirklich brauche. Und das jedes Semester – das zieht echt Energie. Ich renne nicht zum Spaß während einer Prüfung 5 mal auf die Toilette! Und dann muss ich mich ja auch immer wieder neu reindenken!

Schübe der Erkrankungen können durch Stress hervorgerufen oder verstärkt werden. Mithilfe eines Nachteilsausgleichs können Bedingungen geschaffen werden, die Studierenden mit Beeinträchtigungen die gleichen Voraussetzungen schaffen, ihre Leistung abzurufen und Stress reduzieren. Separate Räume, in denen die Prüfungen geschrieben werden können, die in der Nähe von Toiletten liegen, verlängerte Fristen zur Abgabe unterschiedlicher schriftlicher Leistungen oder auch alternative Prüfungsformate, die von zuhause aus absolviert werden können, werden in dem Nachteilsausgleich festgehalten.

Selbstcheck Barrierefreiheit

Hier finden Sie eine Checkliste, um zu überprüfen, wie barrierefrei Ihre Lehre bereits ist.

1 von 5 Tipps werden umgesetzt

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